Quo vadis, Newcastle United?

Nur noch wenige Minuten waren zu spielen. Nicht nur mein Sitznachbar wand sich unruhig, der ganze ausverkaufte St. James’ Park schien von einer nervösen Atmosphäre umgeben.

Niemand wollte der 1:0 Führung so richtig trauen, hatte man doch zuletzt schon ähnliche Spiele mit einem schmerzvollen Ende erleben müssen.

Fulham war an diesem kalten Samstagnachmittag im März in Newcastle zu Gast, für beide Teams ein entscheidendes Spiel im Abstiegskampf. Verlieren verboten! Die ‹Magpies› hatten eine Reihe Spiele hinter sich, in denen sie anständig agierten, dann aber nach dem ersten Gegentor völlig auseinanderbrachen, während das Selbstvertrauen in beängstigende Tiefen sank. Nach wie vor war man aber – im Gegensatz zu Fulham – über den Abstiegsrängen, obwohl man seit Dezember kein Premier-League-Spiel mehr gewonnen hatte und Kevin Keegan in seiner zweiten Amtszeit im Nordosten Englands noch sieglos war. Ein Sieg war schon längst überfällig, spätestens beim Heimspiel gegen Blackburn, welches man dominierte, doch in letzter Sekunde den Treffer zum 0:1 Schlussstand kassierte. Es war offensichtlich, dass das mangelnde Selbstvertrauen, die Angst vor Fehlern oder sogar dem Abstieg die ganze Mannschaft mental zu blockieren vermochte. Keegan wusste: Wenn wieder einmal ein Erfolgserlebnis eintritt, wird diese Mannschaft selbstbewusster auftreten, und wieder positive Resultate liefern.

Am Montag vor dem Fulham-Spiel hatte man beim Aufsteiger Birmingham City ein ähnlich wichtiges Spiel zu absolvieren. Keegan liess erstmals Owen, Viduka und Martins zusammen auflaufen, stellte also – wie es sich für ihn gehört – offensiv und mutig auf. In der ersten Hälfte ging das Ganze eher schief, Offensivaktionen waren Mangelware und hinten liess man sich übertölpeln und kassierte prompt den 0:1 Pausenstand. Wie schon die Spiele zuvor war das Team nach dem Gegentor noch verunsicherter. Ich war der letzte, der noch eine Kehrtwende erwartete. Doch Keegan fand in der Kabine wohl die richtigen Worte, und in der zweiten Halbzeit sah man ein Newcastle, welches nach ‹King Kev’s› Vorstellungen agierte: Offensiv, angriffslustig und voller Selbstvertrauen. Owen gelang der verdiente Ausgleich und mit ein bisschen Glück hätte man das Spiel gewinnen können. Wichtig war aber, dass man erstmals seit langer Zeit wieder Moral gezeigt hat und die perfekte Antwort zur ersten Halbzeit gegeben hat. Und das neue System funktionierte teilweise sehr gut, Owen spielte etwas zurückhängend in seiner Lieblingsposition, während Viduka mit seiner physischen Stärke die Bälle behauptete und Martins mit seiner Schnelligkeit die Defensive der Blues immer wieder vor Probleme stellte. Ein perfektes Sturmtrio!

Keegans entlassener Vorgänger, Sam Allardyce, kam übrigens nie auf die Idee, die drei gleichzeitig in einem ähnlichen System aufs Feld zu schicken. Bald musste auch die Presse aus London zugeben, dass Keegan damit ein taktisches Meisterstück gelungen ist. Das System wurde in den nächsten Spielen unverändert erfolgreich angewendet.

Zurück zum Fulham-Spiel: Newcastle dominierte die Partie und führte nach wie vor durch das frühe Tor von Viduka, verpasste es aber, aus seinen zahlreichen Chancen Kapital zu schlagen und das Spiel zu entscheiden. Wiederholte sich das Horror-Szenario der letzten Spiele? Schon rollte die nächste Angriffswelle der ‹Toon Army› über das Spielfeld, und Owen wurde vor dem Strafraum von Ex-Magpie Aaron Hughes gefoult. Viel Hoffnung auf ein 2:0 durch den daraus resultierenden Freistoss hatte ich nicht, da Geremi antrat, doch dieses Mal brachte er den Freistoss perfekt in Richtung Owen … und der den Ball ins Netz! 2:0, die Entscheidung. Man konnte die Erleichterung im Stadion richtiggehend spüren, und laute Toon, Toon, Black’n’White Army! und Keegan, Keegan!-Schlachtrufe hallten durch das Stadion.

Auch im Auswärtsspiel bei den Spurs zeigte man Moral und eine der besten Auswärtsleistungen der letzten Jahre, die an die Zeiten der Neunziger erinnerte, als man noch um den Titel mitkämpfte. 4:1 lautete das Ergebnis, nachdem man unglücklich in Rückstand geriet. Der Dreimannsturm zahlte sich wiederum aus, und man hätte 5, 6 oder sogar 7 Tore erzielen können. Auch in den darauf folgenden Spielen bestätigte man den Aufwärtstrend (3:0 vs. Reading; Remis beim Pokalfinalisten Portsmouth) und gewann schliesslich das umkämpfte Tyne-Wear-Derby gegen die ‹Mackems› (pardon, S*nderland) verdient mit 2:0, was zu einer Serie von sechs aufeinanderfolgenden Spielen ohne Niederlage führte und auch mathematisch den Verbleib in der Liga sicherte …

Bleibt noch, diese wiederum schwache Spielzeit noch anständig zu beenden und – wer weiss? – in der oberen Tabellenhälfte abzuschliessen. Man darf aber gespannt sein, wie Newcastle im Sommer bezüglich Transfers agieren wird. Schon längst kursieren die ersten Gerüchte, die uns wohl die ganze Sommerpause beschäftigen werden. Es werden Namen wie Richard Dunne (ManCity), Giles Barnes (Derby) und nahezu jedes aktiven bzw. noch nicht verstorbenen Fussballspielers genannt.

Man hat grundsätzlich ein gutes Grundgerüst mit Spielern wie Owen, Viduka, Butt, Beye etc., muss das Team aber auf einzelnen Positionen und vor allem in der Breite noch verstärken, um in den nächsten Jahren wieder in die Top 6 vorstossen zu können. Auch muss und will man den Vertrag von Owen verlängern. Vielen Fans missfiel zwar, dass er seit seiner Ankunft aus Madrid bis anfangs dieser Saison mehr Zeit im OP-Saal als auf dem Rasen verbracht hat, inzwischen ist er aber ein wichtiger Leistungsträger geworden und hat mit seinen Toren die Meinung der Geordies geändert. Er signalisierte Bereitschaft, Verhandlungen zu seinem 2009 auslaufenden Vertrag bei entsprechendem Angebot mit der Vereinsführung aufzunehmen. Keegan will ihn um jeden Preis halten und somit sind auch die von der Presse hochstilisierten Probleme, die Owen mit Keegan haben solle (Owen schrieb in seiner schon länger erschienenen Biographie, dass Keegan dazumals als englischer Nationaltrainer für die ‹darkest days of my career› verantwortlich gewesen sei), völlig aus der Luft gegriffen. Das ganze ist schon längst geklärt. Wäre dies nicht der Fall, hätte Keegan seinen Topstürmer auch nicht zum Captain ernannt. Die südenglische Presse wird zwar nach wie vor Richtung Newcastle und Keegan stänkern, aber das nimmt im Nordosten sowieso niemand mehr wahr.

Man sollte nicht in allzu grossen Optimismus verfallen, da es ein steiniger Weg zurück in den Europäischen Fussball werden wird. Aber ich bin mir fast 100 %-ig sicher, dass Keegan es schaffen wird, den Club langfristig zumindest wieder an der Top 4 ‹schnuppern› zu lassen. Oder um es in seinen Worten auszudrücken:

Not overnight, but we can.

Ich hoffe, Keegan kann seine Vorstellungen umsetzen und wird diesen Club wieder dahin zurückführen, wo er sich in seiner ersten Amtszeit schon einmal befand. Ob er die bald 50-jährige Titelflaute beenden kann, wird die grösste aller Fragen sein. Langweilig wird es in der Seifenoper Newcastle United jedenfalls nie werden, das ist das einzige, worauf man sich wirklich verlassen kann. Darum verzichte ich dieses Mal auf eine Prognose des Tabellenplatzes für nächste Saison, ich liege sowieso fast immer daneben …

Howay the lads!

Geordie Ramon

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2 Comments

  1. Mr. Mifsud
    Posted April 24, 2008 at 21:20 | Permalink

    Ich wohnte dem Tyne-Wear-Derby in eine Pub in the Toon bei und muss sagen, dass die Stimmung in der Stadt 1a war.

    “Keano Keano he w*nks his dog Keano!”

  2. Geordie Ramon
    Posted April 25, 2008 at 12:32 | Permalink

    Hehe, den Song kenne ich und ist bereits weltberühmt…;-)

    http://www.youtube.com/watch?v=tBgi0bG1rH4

    Die Stimmung ist allgemein, seit Keegan zurück ist, wieder 1a. Vorher glich der St. James’ zeitweise einer Bibliothek, aber vor allem im Derby war die einst so gefürchtete Stimmung (die wohl beste auf der Insel) der Neunziger in King Kev’s erster Amtszeit wieder zurück.

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